Ein Schreibtisch wie eine Schrift

Interview mit Ronan Bouroullec

Courier ist ein Schreibtisch, der den Sinn für Form und Komposition und das technische Know-how von Ronan Bouroullec exemplarisch aufzeigt: Mühelos verbindet der französische Designer und Künstler die hochwertigen Materialien Holz und Aluminium zu einem unverwechselbaren, aber unaufdringlichen Ganzen. Kompakt und elegant ist Courier eine Lösung für die Arbeit – zuhause und im Studio. Die Designexpertin Anniina Koivu hat mit Ronan Bouroullec über die Entwicklung des Schreibtischs, seinen Designprozess und seine Arbeit als Künstler gesprochen.

Anniina Koivu: Die örtliche Aufteilung der Arbeit war für viele von uns in letzter Zeit ein Thema: Wo und wie arbeitet man am besten zuhause
Ronan Bouroullec: Ja, die Idee für diesen Schreibtisch entstand tatsächlich während der Pandemie, als fast alle ihr Zuhause überdenken und als Arbeitsplatz nutzen mussten.
Ursprünglich dachte ich über Raumteiler nach, entwickelte meine Ideen aber zu einem Schreibtisch weiter. Es ist an sich eine einfache Idee, die ich schon seit Jahren im Kopf habe – ein Schreibtisch, der in viele Wohnräume passt.

Deine Arbeit an möglichst flexibel einsetzbaren Möbeln reicht zwanzig Jahre zurück. Damals war die Flexibilität der Ausgangspunkt für den Joyn-Tisch: Das erste Produkt, das du zusammen mit deinem Bruder Erwan für Vitra entwickelt hast, war vom Familientisch inspiriert, eine grosse, gemeinsame Plattform, die Zusammenarbeit fördert. Später kam Tyde dazu, ein Sitz-Steh-Tisch mit Höhenverstellung.
Ja, im Vergleich zum ersten grossen System und dem zweiten, sehr technischen Tisch, habe ich dieses Mal nach Einfachheit gesucht, nach einer Reduktion des Tisches auf eine essenzielle, greifbare Form. Ich habe reduziert, bis ich auf das kam, was ich gerne als «nackte Lösung» bezeichne. Hier war es eine dünne Holzoberfläche auf Beinen, einen Schreibtisch mit genügend Fläche für einen Laptop, einige Papiere und einen Bildschirm oder Bücher. Um sich in verschiedenste Umgebungen einfügen zu können, musste das Design etwas filigraner sein und durfte keinen typischen Büro-Look haben.

Wurdest du bei der Gestaltung von klassischen Schreibtischen beeinflusst?
Der Entwurf basiert auf meiner dreissigjährigen Erfahrung, aber es gab einen besonderen Einfluss: Den Schreibtisch Compas Direction von Jean Prouvé aus dem Jahr 1953, mit seinen ikonischen, gespreizten Beinen. Wir haben die Geometrie weiter vereinfacht und dabei versucht, eine Harmonie in der Komposition zu erreichen – wie in der Musik, wo eine Stimme und eine Gitarre eine wunderbare Melodie erzeugen können.

Und diese Harmonie des Tisches ergibt sich aus der Kombination des Aluminiumuntergestells und der Schichtholzplatte?
Ja, genau. Die Leichtigkeit des Schichtholzes kontrastiert mit den Dimensionen und der Bewegung der Metallfüsse. Wenn man den Tisch von der Seite betrachtet, sieht man ein Gleichgewicht zwischen den Teilen – und er hat eine Art Bewegung an sich, könnte sich wie eine Typografie lesen lassen.
Der Tisch heisst «Courier», was auch der Name einer Schrift ist. Die einzeilige Serifenschrift Courier hat blockartige Striche, die ihr einen kräftigen Ausdruck geben.
Genau, und auch die Art und Weise, wie die Linien des Tisches zusammenkommen, hat einen gewissen Charme: nicht in perfekten 90-Grad-Winkeln, sondern fliessend, ähnlich wie die Buchstaben der Courier-Schrift.

Howard Bud Kettler hat die Schrift «Courier» Mitte der 1950er-Jahre im Auftrag von IBM entworfen. Sie wurde als Standardschrift für Schreibmaschinen bekannt und später zum Industriestandard für die Computerprogrammierung. Kettler sagte einmal: «Ein Brief kann ein gewöhnlicher Bote sein. Oder er kann der Kurier sein, der Würde, Prestige und Stabilität ausstrahlt.» Eine Beschreibung, die auch auf deinen gleichnamigen Schreibtisch zutreffen könnte.
Ja, es geht um eine Ästhetik der Einfachheit von Formen und Proportionen, ähnlich wie beim Rhythmus in der Schrift.

In deinen Entwürfen sind immer feine Rundungen zu erkennen, wie bei der gebogenen Platte des Schreibtisches.
Dafür gibt es keine feste Formel. Es geht um ein Gleichgewicht zwischen Einfachheit und Charme. Charme ist schwer zu definieren, aber er ist das, was einem Objekt Persönlichkeit verleiht.

Was ist denn eine gute Rundung?
Eine gute Rundung ist wie ein Körper – man sollte sie anfassen wollen, mit der Hand daran entlang gleiten. Es geht um Kontinuität, Formen ohne Unterbrüche. Die Rundung muss auch funktionell sein und Gewicht und Spannung aushalten. Aber über diese Funktion hinaus verleiht sie einem Objekt einen Hauch von Sinnlichkeit, eine gewisse Anmut, die es lebendig erscheinen lässt. Sie ist eine Mischung aus Stabilität und subtiler Bewegung.

Lass uns über deinen Prozess sprechen. Man hat in letzter Zeit viel von deiner künstlerischen Tätigkeit, dem Zeichnen, gesehen. Wie beeinflusst dieses dein Design?
Es ist eine sehr persönliche Tätigkeit, extrem frei – in dem Sinne, dass ich am Anfang nicht weiss, was ich tun werde; es ist nichts, was ich plane. Es ist instinktiv, wie Meditieren: Ich beginne mit einem leeren Blatt Papier und mache Linien, Linien, Linien, bis ich eine Form erschaffe. Und wenn sie fertig ist, vergesse ich sie.
Dieses freie Zeichnen machst du parallel zu deiner täglichen Designarbeit. Was ist mit der anderen Art deines Zeichnens? Den zahlreichen Skizzen eines Designprojekts?
Ja, für mich gibt es zwei Arten des Zeichnens: Die eine ist ein Werkzeug, das mir hilft, in meinem Kopf nach Klarheit zu suchen, intuitiv, niemals kalkuliert. Die andere ist eine Möglichkeit, eine Designidee zu visualisieren und zu verfeinern. Das sind Skizzen für die Arbeit, die zum Ziel haben, meine Gedanken voranzutreiben, sie sind wie Notizen. Früher habe ich viele Zeichnungen angefertigt, um die Proportionen und Formen eines Entwurfs zu verstehen. Jetzt, mit meiner Erfahrung, kann ich den Entwurf in meinem Kopf formen, wie eine mentale Datei, und komme dem endgültigen Objekt mit weniger Skizzen näher. Das ist eine natürliche Entwicklung. Erinnerst du dich an das Zitat «Ein Entwurf ist so gut, wie man ihn am Telefon beschreiben kann»?

Ja, das berühmte Zitat des italienischen Designers Vico Magistretti. Gutes Design sei etwas, das nicht gezeichnet werden müsse, sondern einfach mit Worten beschrieben werden könne.
Nach Hunderten, Tausenden von Skizzen und Entwürfen entwickelt man eine mentale Bibliothek von Formen, Rundungen, Linien, Winkeln und Proportionen. Früher habe ich eine Zeichnung auf dem Computer abgelegt, jetzt kann ich Dateien in meinem Kopf erstellen, und diese sind nicht weit vom endgültigen Objekt entfernt. Jetzt kann ich etwas beurteilen, indem ich es fühle – wie beim Prototyp eines Stuhls: Ich vertraue mehr auf meine Instinkte, setze mich und fühle. Ich schaue ihn weniger an.
Das klingt nach einem viel entspannteren Prozess.
In der Tat! Und zwar, weil ich jetzt nicht mehr wirklich Skizzen für Projekte anfertigen muss; ich sehe sie einfach. Das ist der Vorteil, wenn man ein «alter» Designer ist. Jetzt sind Zeichnen und Design für mich noch stärker voneinander getrennt: Ich zeichne mehr und mehr und gleichzeitig brauche ich keine Skizzen mehr.

Mittlerweile hast du ein beeindruckendes Archiv von Kunstzeichnungen zusammengetragen.
Ich habe schon immer gezeichnet, aber viele Jahre lang blieb es eher privat. Erst in letzter Zeit habe ich angefangen, meine Kunst mehr zu teilen. Durch das Zeichnen kann ich mich frei ausdrücken, vor allem, wenn ich von den eher technischen Aspekten des Designprozesses frustriert bin – oder von der manchmal sehr langen Zeit zwischen der ersten Idee und dem Endprodukt. Das Zeichnen gleicht meinen Tag aus.

Wie strukturierst du deinen Tag?
Tagsüber beschäftige ich mich mit Objekten, Räumen, Urbanistik etc. Ich sehe Menschen und spreche mit ihnen. In der Nacht zeichne ich dann. Das ist etwas, was ich ganz allein mache, ausserhalb meines Ateliers, in der Küche, im Wohnzimmer – oder am Schreibtisch zuhause.

Veröffentlichungsdatum:20.03.2025
Autorin: Vitra
Bilder: 1., 2., 5., 6., 7., 9., 10., 11. © Ronan Bouroullec; 3., 4., 12. © Vitra; 8. © Marion Berrin

Das könnte Sie auch interessieren