Das Bett im Zeitalter von Covid-19

Beatriz Colomina

1.
Die Architekturhistorikerin Beatriz Colomina ist an der Universität Princeton tätig und erforscht seit dem letzten Jahrzehnt die zunehmende Popularität des Betts als Arbeitsplatz. Sie schreibt, die Covid-19-Pandemie habe diese Entwicklung weiter angeheizt: Das Symbol für Intimität verwandle sich in ein öffentliches Möbel und beeinflusse so unser Verhältnis zum öffentlichen Raum.

Bereits 2012 berichtete das Wall Street Journal, dass 80 Prozent der jungen Berufstätigen in New York City regelmässig vom Bett aus arbeiten. Millionen von verstreuten Betten würden die Aufgaben zentraler Bürogebäude übernehmen, während elektronische Netztechnologien jede Grenze davon, was im Bett getan werden kann, aufheben. Es ist nicht nur, dass das Bett-Büro durch die neuen Medien möglich geworden ist, vielmehr dehnen sie auch einen hundertjährigen Traum von häuslicher Konnektivität auf Millionen von Menschen aus. Die Stadt ist ins Bett gezogen. Die Industrialisierung brachte die Acht-Stunden-Schicht und die radikale Trennung zwischen Haus und Büro oder Fabrik, Ruhe und Arbeit, Tag und Nacht mit sich. Die Post-Industrialisierung schickt die Arbeit zurück ins Haus – und auch gleich noch weiter ins Schlafzimmer und ins Bett.

Diese Philosophie verkörperte schon Hugh Hefner, der bekanntlich fast nie sein Bett, geschweige denn sein Haus verliess. 1960 zog er in die Playboy-Villa am 1340 North State Parkway in Chicago ein, verlegte buchstäblich sein Büro in sein Bett, verwandelte es zum Epizentrum eines globalen Imperiums und machte den seidenen Pyjama und Morgenmantel zu seiner Geschäftskleidung.

«Ich verlasse das Haus nicht! Ich bin ein moderner Einsiedler», sagte er zu Tom Wolfe und meinte, er sei das letzte Mal vor dreieinhalb Monaten ausgegangen und habe in den letzten zwei Jahren nur neunmal das Haus verlassen. Der «Playboy» verwandelte also das Bett in einen Arbeitsplatz. Ab Mitte der 1950er-Jahre wurde es immer ausgeklügelter und mit allen möglichen Unterhaltungs- und Kommunikationsgeräten als eine Art Kontrollraum ausgestattet. Das Magazin widmete dem Design des perfekten Bettes viele Artikel – und als Vorbild diente jeweils Hefner mit seinem berühmten Exemplar in der Playboy-Villa.
2.
Hier und heute findet man Betten aus ganz unterschiedlichen Gründen in den Medien. Sie sind das Gesicht der Katastrophe, die sich seit Ende 2019 überall auf der Welt ereignet hat. In New York, wo ich lebe, sind Betten, diese normalerweise nicht sichtbaren Gegenstände, plötzlich überall zu sehen. Zuerst war es der dringende Ruf nach mehr Krankenhausbetten, dann von Betten überfüllte Krankenhäuser, Korridore und ehemalige Wartezimmer. Jeder Raum, egal wie gross, wurde zu einem Raum mit Betten. Die ganzen Krankenhäuser wurden übernommen. Die Betten begannen, neue Räume zu schaffen, in Zelten, Turnhallen, Parks, Schiffen und Kongresszentren. Eindringliche Bilder von höhlenartigen Räumen mit Hunderten von leeren Betten in einem Raster – jedes mit einem Sauerstofftank und einer Lampe – und Wartebetten. Die in den Medien dominierenden Fragen waren: «Wie viele Betten?»; «Wie viele sind belegt?»; «Wie viele Menschen haben das Bett überlebt?» Jedes Bett mit Beatmungsgerät wurde zum Intensivbett, das Bett wurde zum Raum, zur Architektur. Sogar Betten auf der Strasse, in denen Kranke transportiert werden: Sie sind wie tragbare Zimmer, einige sind von einer Plastikblase umhüllt und erinnern an Sci-Fi-Architektur der 1960er-Jahre. Die Betten auf der Strasse und in den Medien wurden zu einem alltäglichen, beängstigenden Anblick, wobei das medizinische Personal jeweils wie terrestrische Astronauten vollständig in Schutzkleidung gehüllt und mit Sauerstofftanks ausgestattet war. Diese mobilen Betten fungieren als Bindeglied zwischen dem häuslichen Bett und dem Krankenhausbett – ein Ökosystem von Betten, ganze Landschaften.
3.
Die Betten sind nicht nur in den Medien als eigentliche Fassade dieser neuen Stadt zu sehen, sie sind auch selber Medienplattformen, zum Zoomen, Ausstrahlen, Face-Timen – für Bett-zu-Bett-Kommunikation. Denken Sie an all jene, deren letzter Kontakt über ein von einer Krankenschwester gehaltenes Telefon stattfand. Denken Sie an all jene, die vom Bett aus mit Freunden und Kollegen kommunizieren. Denken Sie an all die Betten, die Sie im Hintergrund von Arbeitstreffen, geselligen Zusammenkünften, Comedy-Shows, Musikkonzerten zu Hause usw. sehen. Kein Bett ist mehr ein Geheimnis. Diese neue Architektur des allgegenwärtigen Bettes ist kein Nebeneffekt der Pandemie, sondern wird durch sie blossgelegt. Und einmal blossgelegt, könnte sie wieder mutieren.

Das Bett war bereits auf dem Weg dazu, eine neue Art von Büro zu werden. Der Virus hat diese Entwicklung auf eine neue Ebene gebracht: Gibt es irgendeinen Grund zur Annahme, dass wir das Bett verlassen werden, wenn all dies vorbei ist, jetzt, wo wir so viel besser im Bett arbeiten, im Bett unterrichten, im Bett einkaufen, mit Menschen «zusammen sein» können, die meilenweit entfernt sind? Früher war das Bett der Ort für intimen Körperkontakt. Jetzt werden wir auf die Strasse gehen müssen, um solchen Kontakt zu suchen.
Beatriz Colomina ist seit dem 1. Februar 2019 Howard-Crosby-Butler-Professorin für Architekturgeschichte an der Universität Princeton. Die Professur ist dem Gedenken an Howard Crosby Butler (1872-1922), Abschlussjahrgang 1892, Professor für Kunst und Archäologie (1905-1919) und für Architekturgeschichte (1919-1922) gewidmet. Colominas jüngstes Buch X-Ray Architecture (Zürich: Lars Müller, 2019) handelt von der Beziehung zwischen Krankheit und moderner Architektur.

Veröffentlichungsdatum: 19.6.2020
Autor: Beatriz Colomina
Bilder: 1. Casper von https://blog.casper.com/uk/guide-working-bed/; 2. Keystone-SDA / Magnum Photos / Burt Glinn; 3. Armin Bre / Alamy Stock Photo: following the outbreak of the Coronavirus in Fars province of Iran, Dastgheib stadium in Shiraz has become a host for Coronavirus patients to recover after being discharged from the hospital by the Iranian army. It has 200 beds and has been operating for almost a week.

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