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Ein Archiv ist wie eine Zeitkapsel
Interview mit Hella Jongerius
Hella Jongerius hat ihr Archiv in die Obhut des Vitra Design Museums übergeben. Damit beginnen auch die Vorbereitungen für eine Retrospektive von Jongerius‘ Arbeit, die das Museum im Jahr 2026 zeigen wird. Wir sprachen mit der niederländischen Gestalterin darüber, wie sie mit ihrem Archiv gearbeitet hat und was sie jetzt mit dem gewonnenen Platz anfängt.
Wie geht es Ihnen damit, die Ergebnisse und Relikte von vielen Jahren Ihrer Arbeit und Forschung in andere Hände zu geben?
Ich bin sehr zufrieden damit. Es tut dem Werk gut, dass es eine öffentliche Plattform bekommt und für viele Augen sichtbar wird. Aber es wird dadurch in gewisser Weise auch verletzlicher, denn nun werden andere Menschen Zeugen der Entwurfsprozesse und sehen die Zweifel und die Dilemmas, die Teil davon sind. Doch es ist nicht nur ein persönliches Archiv, die Objekte erzählen auch etwas darüber, wie sich der Designerberuf in den vergangenen 30 Jahren verändert hat. Es ist wie eine Zeitkapsel oder Zeitmaschine.Was hat sich denn verändert?
Es ist eine Menge passiert, zum Beispiel bei den Materialien. Schon allein wegen der Klimakrise sind Materialien politisch geworden. Als ich anfing, als Designerin zu arbeiten, war das kein grosses Thema. Ich war eine der wenigen, die eine Meinung dazu hatte. Ich beschäftigte mich schon damals mit der Idee der Unvollkommenheit und der Individualität in industriellen Herstellungsprozessen. Allgemein ist das Bewusstsein für die eigene Verantwortung als Designerin oder Designer erst in den vergangenen zehn Jahren gewachsen.Warum geben Sie Ihr Archiv gerade an das Vitra Design Museum?
Zuerst hatte ich lediglich angefragt, ob das Museum einen Teil meines Archivs übernehmen möchte. Doch als das Angebot für das ganze Archiv kam, fand ich das perfekt. Da ich seit längerem mit Vitra zusammenarbeite, sind wir bereits eng verbunden. Es ist ein organischer Schritt, zumal das Museum bereits einige Nachlässe von Designern bewahrt. Meine Arbeiten schliessen auch zeitlich eine Lücke zu den grossen Namen aus den 1950er- und 1960er-Jahren wie Eames, Nelson oder Girard.Welche Art von Objekten sind in Ihrem Archiv zu finden?
Viele Arbeiten zum Thema Farbe. Muster, Probestücke, um die richtige Farbe für einen Entwurf zu finden. Häufig bestehen sie aus Keramik. Und dann eine Menge Objekte aus meiner Arbeit für KLM (Jongerius hat für die Fluglinie KLM Innenräume von Flugzeugen gestaltet, Anm. d. Red.). Überhaupt viel Textilforschung, Stoffmuster, 3D-gewebte Objekte. Und dann die frühen Arbeiten mit Modellen und Mock-ups von Möbelstücken, die nicht realisiert worden sind. Ein Menge Dinge, die noch nie jemand gesehen hat. Ideen, Träume – es ist interessant zu sehen, wie man im kreativen Prozess loslassen und sich auch mal verirren kann. Manche Ideen habe ich ruhen lassen und später wieder aufgenommen. Für mich ist ein Archiv ohnehin fliessend, es ist immer ein Arbeitsarchiv. Ich beginne ein Projekt nie mit einem leeren Blatt Papier, sondern greife auf, was schon da ist. In schaue in meinem eigenen Archiv oder bei einem Unternehmen oder Museum.Aber werden Sie Ihr Archiv jetzt nicht vermissen?
Nein, denn es ist alles in meinem Kopf! Ich kann mein Archiv sogar träumen. Und ich kann doch immer ins Museum gehen und mir die Objekte noch einmal ansehen. Es ist ja nicht weggeschlossen.Und was machen Sie mit all dem freien Platz in Ihren Studios in Arnheim und Berlin?
Ich schlage ein neues Kapitel auf. Ich bin sehr glücklich über den leeren Raum, es fühlt sich ein wenig an wie eine Wiedergeburt, wie eine Erleichterung. Nicht, dass ich vorher gedacht hätte, das Archiv sei eine Bürde. So habe ich das nie gesehen. Aber jetzt, wo alles weg ist, habe ich doch das Gefühl, dass mir eine Last von den Schultern genommen ist. Ich fühle mich erleichtert und frisch. Ich arbeite an neuen, grossen Projekten und dafür brauche ich viel Platz.Veröffentlichungsdatum: 31.7.2024
Autor: Jasmin Jouhar
Bilder: 1. Hella Jongerius © Jongerius Lab, Breathing Colour, Ausstellung, 2017, Foto: Roel van Tour; 2., 3., 4., 5., 6. Hella Jongerius in ihrem Studio. Vorbereitungen für den Archiv-Umzug © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Vitra Design Museum, Foto: Roel van Tour; 7. Hella Jongerius, Long Neck and Groove Bottles, 2000, Foto: Andreas Sütterlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Vitra Design Museum; 8. Hella Jongerius, Coloured Vases Serie, 2010, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Jongerius Lab, Foto: Gerrit Schreurs; 9. Hella Jongerius, Polder Sofa, 2005 © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Vitra; 10. Hella Jongerius, The Worker, 2006 © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Vitra; 11. Hella Jongerius, Shadow View, „Woven Cosmos“ Gropius Bau, 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 / Jongerius Lab