Warum Designklassiker auch im Büro relevant bleiben

Interview mit Christian Grosen

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Inwiefern eignen sich Entwürfe von Jean Prouvé – einschliesslich der neuen Entwürfe, die kürzlich in die Prouvé-Kollektion von Vitra aufgenommen wurden – für den Einsatz im Büro? Dies sind die Hocker Tabouret N° 307 und Tabouret Métallique (auch Beistelltische), das Wandregal Rayonnage Mural und der konische Lampenschirm Abat-Jour Conique, den Prouvé 1947 für die Wandleuchte Potence entwickelt hat.

Die Möbel von Prouvé wurden häufig für Gemeinschaftseinrichtungen wie Universitäten und Schulen entworfen. Seine einfachen, langlebigen, robusten und komfortablen Entwürfe passen in jeden Raum und sind darum auch heute noch besonders aktuell. Sie haben einen unverwechselbaren industriellen Stil und bringen doch eine wohnliche Atmosphäre in Büroräume. Die Lampe de Bureau von 1930, die in unserem Club Office zu sehen ist, wurde ursprünglich für die Wohnheime der Cité Universitaire im französischen Nancy – der Stadt, in der Prouvé lebte – entworfen und wird heute in Projekten wie dem neuen Hauptsitz des Schweizer Laufschuhherstellers On in Zürich verwendet, so wie auch der Stuhl Chaise Tout Bois. Sie eignet sich auch sehr gut für Bibliotheksräume, wie das Beispiel in unserem Showroom The Tramshed in Shoreditch, East London, zeigt.
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Viele Stücke von Prouvé wurden Mitte des 20. Jahrhunderts entworfen. Wie kommt diese Ästhetik heute an, inwieweit ist sie noch aktuell? Sehen Sie sie als zeitlos an?

Die Entwürfe von Prouvé spiegeln seine Ehrlichkeit und seine Fähigkeiten als Metallbauer, Ingenieur und «Constructeur» (oder Fabrikant) wider, wie er sich selbst bezeichnete. Das spürt man auch heute noch, wenn man seine Möbel betrachtet oder nutzt. Sie sind für eine langjährige, intensive Verwendung konzipiert und ja, sie sind meiner Meinung nach zeitlos, was ein weiterer Grund ist, warum sie so aktuell bleiben.
Mir gefällt auch dieses Zitat unseres Chairman Emeritus Rolf Fehlbaum, das deutlich macht, was wir bei Vitra unter «Designklassikern» verstehen und warum wir uns ihrer Erforschung und Herstellung widmen:
«Ein Designklassiker ist nicht schon ein Klassiker, wenn er erstmals auf den Markt kommt. Er startet als Ausbrecher. Er wird nicht zum Klassiker, indem er dem gängigen Massstab entspricht, sondern er stellt den gängigen Massstab in Frage. Ein Klassiker wird zum Klassiker, weil er bereits auf dem Markt bestehende Produkte und andere neue Produkte in den Schatten stellt. Der Klassiker stammt aus einer vergangenen Zeit und wirkt doch zeitgemäss, aktuell. Er ist ikonisch, ohne ikonisch sein zu wollen. Er besitzt die Merkmale eines Kunstwerkes, ohne Kunst sein zu wollen. Er bleibt für immer aktuell.»

Entsprechen die Möbel auch in anderer Hinsicht den Anforderungen heutiger Büros, z. B. in Bezug auf Flexibilität oder geringes Gewicht zur leichten Transportierbarkeit?

Die Möbel von Jean Prouvé sind von einem Gestaltungswillen geprägt, der sich in den Details, den Verbindungsstellen, den Proportionen, dem statischen Bewegungsfluss, der Gesamtkonstruktion und der Fertigung ausdrückt. Prouvé entwarf seine Stücke entsprechend der Kräfte, die auf sie einwirken. So machte er beispielsweise die hinteren Beine seines Stuhls Standard dicker, da hier der stärkste Druck auf den Stuhl durch den Sitzenden ausgeübt wird. In diesem Sinne sind seine Entwürfe «transversal», also für alle Räume geeignet, seien sie privat, öffentlich oder geschäftlich.

Der Stuhl Standard oder die Version aus Holz – Chaise Tout Bois – eignet sich hervorragend für Cafés und Restaurants und wird zum Beispiel im Restaurant Weinsinn in Frankfurt verwendet. Er kann jedoch auch zuhause am Esstisch, genutzt werden. Cité lässt sich wie im Haus von Prouvé in Nancy gut als Loungesessel im Wohnzimmer verwenden, eignet sich aber auch für Wartebereiche in Flughäfen – wie beispielsweise auf dem Flughafen Paine Field in der Region Seattle. Die Kollektion ist auch bereits in weiteren kommerziellen Projekten zu sehen, z. B. im Hauptsitz des spanischen Beleuchtungsunternehmens Marset in Barcelona.
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Wie werden diese Stücke eingesetzt, welche sind die beliebtesten und nützlichsten?

Man kann das kaum verallgemeinern, da jedes Büro, jede Wohnung und jeder öffentliche oder hybride Raum sich von anderen unterscheidet und ganz spezielle Anforderungen hat. Der grosse Vorteil der Prouvé-Produkte ist, dass sie sich mit anderen Möbeln kombinieren lassen, denn ihre ehrliche Gestaltung und ihre klare Materialität schaffen eine gute Atmosphäre – wo immer sie sich befinden.Wir haben festgestellt, dass der Stuhl Standard sich besonders gut für Cafés, Restaurants und andere Bereiche, in denen eine grosse Anzahl von Stühlen benötigt wird, eignet. Seine Farben lassen sich wunderbar miteinander kombinieren – ein gutes Beispiel dafür ist das vegane Restaurant Roots am Hauptsitz von On in Zürich, Schweiz.

Können Sie etwas über die Verwendung von Farben in Prouvés Entwürfen sagen? Sind bestimmte Farben für Büro- oder Geschäftsräume besser geeignet als andere? Sind die kürzlich in diese Palette aufgenommenen Farben auch heute noch aktuell?

Mit den 2022 vorgestellten neuen Produkten haben wir die von Prouvé für seine Architektur und die Stahlelemente seiner Möbel entwickelte Farbpalette erweitert. Zu den bereits vorhandenen Farben Schwarz, Japanese Red und Blanc Colombe sind Gris Vermeer, eine Anspielung auf die Grautöne im Werk des niederländischen Malers Johannes Vermeer, Blé Vert, das von der Farbe jungen grünen Weizens inspiriert ist, sowie Bleu Dynastie und Bleu Marcoule hinzugekommen.

Diese Farben eignen sich für Wohnbereiche und Büros und dank ihrer Vielfalt lässt sich die Kollektion an jeden Büroraum anpassen. Prouvé war überzeugt, dass die natürliche Farbe eines Materials nicht verändert werden sollte – was er als «die Natur eines Materials» bezeichnete – und dass darum Metallteile nur zum Schutz vor Rost lackiert werden sollten. Holz- und Aluminiumteile beliess er darum, wenn möglich, in unbehandeltem Zustand. Prouvé war sich jedoch nicht nur des praktischen Nutzens bewusst, Metall vor Rost zu schützen, sondern auch darüber, dass er seinen Möbeln je nach Farbe eine unterschiedliche Ausstrahlung verleihen konnte.
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Veröffentlichungsdatum: 07.02.2024, zuerst veröffentlicht in «OnOffice»
Autor: OnOffice
Images: 1. On, Zürich; 2., 3. The Tramshed, London; 4. Club Office, Birsfelden: 5., 8. Deloitte, Frankfurt am Main; 6. Christian Grosen, CDO Vitra; 7. Tishman Speyer, Boston: 9. Art Basel, Basel; 10. Weinsinn, Frankfurt am Main; 11. Aletto Hotel, Berlin; 12. RIVR Clinic, Zürich; 13. Jean Prouvé Collection at Villa Dollander, Le Lavandou, Frankreich; © Vitra

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