Der Einfluss von Science-Fiction auf Design

Ein Gespräch mit Künstler und Designer Andrés Reisinger

Kuratorin Susanne Graner führt ein Gespräch mit Andrés Reisinger, dem momentan wohl bekanntesten Künstler und Designer, der fast ausschliesslich für das Metaverse entwirft. Reisingers digitale Kunstwerke, die auch Möbeldesign umfassen, werden als NFTs gehandelt und erregen grosse Aufmerksamkeit. Bei der aktuellen Ausstellung «Science Fiction Design. Vom Space Age zum Metaverse» im Vitra Schaudepot hat er als Creative Director mitgewirkt. Die Ausstellung, die sich mit dem Dialog zwischen Science-Fiction und Design beschäftigt, präsentiert über 100 Objekte aus der Sammlung des Museums und ikonische Werke aus Film- und Literatur. Reisingers Inszenierung zeigt, wie diese das Design der Zukunft und das Zusammenspiel von Fantasie und Realität beeinflussen.

Susanne Graner: Andrés, wir haben im Februar 2023 Kontakt aufgenommen, um deinen Sessel Hortensia zu besprechen, der in der Designbranche für Aufsehen gesorgt hatte. Du bezeichnest dich als Digitalkünstler – wie hast du es geschafft, dich mit dieser Leichtigkeit in der digitalen Welt zu bewegen?

Andrés Reisinger: Schon seit meiner frühen Kindheit hat mich die digitale Welt fasziniert. Ich wollte schon immer etwas von Grund auf erschaffen, das keine Rücksicht auf die Eigenschaften von Materialien oder Rohstoffe nehmen muss. Der reine Akt des Erfindens hat mich gereizt und im digitalen Bereich entdeckte ich eine Leinwand, auf der ich meiner Kreativität Ausdruck verleihen und meiner Fantasie freien Lauf lassen konnte. Das erforderte auch eine Präzision, die ich bereits von meinen Lektionen in klassischer Musik her kannte. Es fühlte sich wie eine Erweiterung meines innersten Wesens an – eine sich ständig verändernde Kunstform, die immer in Bewegung ist. Dieser endlose Kreislauf der Transformation und Innovation ist eine Herausforderung, hat aber auch eine zutiefst belebende Wirkung.

Beeinflussen Science-Fiction-Themen deine Arbeit?

Wenn ich darüber nachdenke, hat Science-Fiction meine Arbeit von Anfang an beeinflusst, auch wenn ich mir dessen vielleicht nicht unbedingt bewusst war. Das hat sich spontan entwickelt. Viele der Werkzeuge und Themen und auch die Ästhetik meiner Werke haben eine Aura von Sci-Fi und oft eine hyperrealistische Qualität. Das Grossartige an Science-Fiction ist ihre Fähigkeit, Visionen von alternativen Realitäten zu inspirieren, was der Kern meiner Arbeit ist. Ich war verzaubert von den unglaublichen Welten, die Jorge Luis Borges in seinen literarischen Werken erschuf. Im Gegensatz zu anderen Genres ist Sci-Fi von einem lebendigen Entdeckergeist geprägt, vom Überschreiten der Grenzen des Bekannten.

Das Konzept der Zusammenarbeit mit dir als Creative Director für unsere Ausstellung entstand dann aus unseren Gesprächen. Du hattest von Anfang an eine klare Vision zu den Designelementen, die die Ausstellung im Schaudepot ausmachen sollten. Könntest du uns etwas über den Prozess und die Überlegungen erzählen, die deine Auswahl der Designelemente beeinflusst haben?

Mit der Ausstellungsgestaltung wollte ich dem Werk des genialen argentinischen Fantasy-Autors Jorge Luis Borges Respekt erweisen, der mich mit der Welt des Science-Fiction bekannt gemacht hat. Eines der wiederkehrenden Themen, die mich schon immer fasziniert haben, ist die Verwendung von Spiegeln als Portale in alternative Welten. Die Idee, Welten ausserhalb unserer eigenen zu erleben oder einfach nur zu wissen, dass andere Welten existieren, hat mich gefesselt. Darum habe ich Spiegel in den Mittelpunkt der Ausstellung gestellt: Sie sollen symbolisch unterschiedliche Zeiträume reflektieren, in Erinnerung rufen und miteinander verbinden. Das passt gut zum Fokus meiner Arbeit, bei dem es darum geht, Erfahrungen zu schaffen, die sich von dem unterscheiden, was wir womöglich bereits kennen, aber gleichzeitig auch menschlich und wertvoll sind. Ich liebe Werke, die ihre eigene Zeitachse zu haben scheinen, und da dies ein Hauptthema von Sci-Fi ist, wollte ich es im Ausstellungsdesign abbilden.

Der Sessel Hortensia, eines deiner bekanntesten Objekte, ist auch Teil der Ausstellung. Was hat dich dazu bewogen, diesen Entwurf von seiner digitalen Ursprungsform in die physische Realität zu übertragen? Und worin bestand die grösste Herausforderung bei diesem Prozess?

Beim Hortensia ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass es möglich und sogar sinnvoll ist, digitale Nachfrage zu schaffen, bevor man ein physisches Produkt herausbringt. Als ich meine Kunstwerke auf meinem Instagram-Profil veröffentlicht habe, erhielt ich Nachrichten mit Bestellungen für den Hortensia, als ob er ein physisches Objekt sei, was mir zuvor nie in den Sinn gekommen wäre. Denn die Digitalversion des Hortensia habe ich als Ausdruck meiner Kreativität entworfen, ohne darüber nachzudenken, ob man ihn herstellen könnte. Ihn zu produzieren, stellte mich vor unzählige Herausforderungen, so zum Beispiel die Nachbildung von hunderten einzelner Blütenblätter oder wie der Stuhl trotz seines Gewichts schwerelos und luftig wirkt. Keiner glaubte, dass wir es schaffen würden. Es hat aber geklappt, und ihn zu sehen, hat mich gelehrt, weiter kreativ zu arbeiten ohne vorher darüber nachzudenken, ob etwas möglich ist oder nicht.

Was sind die Vorteile, wenn man im digitalen Raum entwirft? Welche Möglichkeiten bieten sich dort, die in herkömmlichen Gestaltungsräumen nicht zur Verfügung stehen?

Herkömmliche Gestaltungsräume und digitale Räume haben ihre ganz individuellen Eigenschaften, ein Vergleich ist schwierig. Deshalb habe ich sie auch nie als Gegensätze oder Alternativen betrachtet, sondern eher sich gegenseitig ergänzend. Aus der Sicht eines Designschaffenden bringt der digitale Raum ständig neue Ideen für Gestaltungsformen hervor, die im realen Raum gar nicht möglich scheinen, wie es beim Hortensia der Fall war. Die digitale Welt kann uns auch viel über die physische Welt lehren, indem sie neue Formen, Strukturen und Möglichkeiten an den Tag bringt, die als reale Objekte kaum umsetzbar scheinen, dann aber doch möglich werden.

Andrés, an welchen zukünftigen Projekten arbeitest du momentan?

Gerade entwickeln wir viele faszinierende Projekte in meinem Studio in Barcelona. Dazu wird es in Kürze weitere Informationen geben.

«Science Fiction Design. Vom Space Age zum Metaverse» zu sehen bis zum 11. Mai 2025 im Vitra Schaudepot.

Veröffentlichungsdatum: 02.07.2024
Bilder: 1. Andrés Reisinger, © Vitra Design Museum, Foto: Mark Niedermann; 2. Andrés Reisinger, The Shipping, Deep Space, 2021
© Reisinger Studio; 3. Andrés Reisinger, The Shipping, Tangled, 2021 © Reisinger Studio; 4. Andrés Reisinger, Complicated Sofa, The Shipping, 2021 © Reisinger Studio; 5. Standbild aus dem Filmset von Things To Come, 1936 © Vitra Design Museum Archiv; 6. Standbild aus dem Filmset von Star Trek, 1968 © CBS Foto Archiv; 7., 8., 9. Installationsansicht, Science Fiction Design: Vom Space Age zum Metaverse © Vitra Design Museum, Foto: Mark Niedermann; 10. Andrés Reisinger, Hortensia, 2021 © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin; 11. Eero Aarnio, Pallo / Ball Chair, 1963 © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin; 12. Maurice Calka, P.-D.G. Desk, 1969 © Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans © VG Bild-Kunst Bonn, 2024; 13. Scorpion Computer Cockpit, 2020 © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin; 14. Louis Durot, Aspirale, ca. 1970 © Vitra Design Museum, Foto: Andreas Sütterlin; 15. Patrick Jouin, Solid C2, 2004 © Vitra Design Museum, Foto: Jürgen Hans


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